Donnerstag, 23.09.1999
Ausgeruht und unternehmungslustig klettern wir heute morgen aus dem Camper. Unserem Drang nach Aktivitäten wird dann aber sehr schnell
ein Ende gemacht, denn hier ist fast alles "closed". Warum? Richtig: End of season! Schließlich finden wir dann doch noch ein offenes Café, in
dem im Gegensatz zu draußen "die Hölle" los ist. Es ist tatsächlich brechend voll, und sie haben sogar glutenfreie Plätzchen. Das versöhnt mich
zumindestens ein klein wenig, bringt mich aber nicht von meiner Meinung ab, daß ich nach Dawson sicherlich kein zweites Mal freiwillig
kommen werde. Wir wärmen uns an köstlichem Cappuccino auf und wagen uns dann wieder nach draußen in die Geisterstadt. Die Straßen hier
sind wie vor 100 Jahren noch immer ungeteert, d. h. überall Matsch und große Pfützen. Wegen des Permafrostes wird sich daran in den
nächsten 100 Jahren dann allerdings auch nichts mehr ändern. Wir schlendern noch ein wenig über die Holzbürgersteige und sehen uns die zum
Teil zugegebenermaßen wirklich schön renovierten Häuser an. Die Natur hat sich hier oben auch schon fast auf den Winter eingestellt, nur noch
wenige Blätter sind an den Bäumen.
Bei unserer Weiterfahrt in Richtung Whitehorse fahren wir zunächst einmal kilometerlang durch eine umgepflügte Landschaft, denn hier wird
noch bis zum heutigen Tag, und wie wir in verschiedenen Broschüren lesen können, sogar noch ziemlich erfolgreich nach Gold gebuddelt. Wie
die Landschaft dann hinterher aussieht, scheint allerdings niemanden zu interessieren. Unterwegs tanken wir für 20 Dollar Benzin nach, das hier
oben auch "Goldpreise" hat. Der Liter kostet 80 Cents! Vor uns liegt noch eine Strecke von 520 km bis Whitehorse. Wir fahren durch eine
ziemlich eintönige Landschaft, von der wirklich nichts Nennenswertes zu berichten ist. Die einzige Abwechslung bilden riesige
Waldbrandgebiete. Das sieht dann alles noch trostloser aus. Gegen 17 Uhr erreichen wir Pelly Crossing, wo die wunderschöne Laubfärbung
dann endlich wieder unsere Gemüter erheitern kann. Am Aussichtspunkt der "Five-Finger-Rapids" legen wir hoch über dem Tal des Yukons
eine Pause ein, um unser Abendessen zu genießen. Der Ausblick auf die Stromschnellen und die bunte Herbstlandschaft versöhnt uns dann
auch schnell wieder mit dem Frust der hinter uns liegenden Kilometer. Bei Einbruch der Dunkelheit sind wir in Carmacks. Im dortigen Hotel
übernachten zahlreiche Jäger, die ihre erlegten Elche samt Geweih auf ihren Geländewagen deponiert haben. Das ist ja genau das Richtige für
mich. Am liebsten möchte ich denen mal erzählen, was ich von ihrem "Sport" halte.
Freitag, 24.09.1999
Vom gestrigen "Frusttag" erholen wir uns morgens erst einmal bei einem ausgiebigen Frühstück. Zu meinem großen Bedauern ist der Vorrat an
den köstlichen Zimtschnecken leider aufgebraucht, aber ich habe ja noch ein paar Scheiben von dem ebenso gut schmeckendem Rosinenbrot
"gerettet". Das lasse ich mir heute morgen förmlich auf der Zunge zergehen. Und weil ich ein mitleidiger Mensch bin, bekommt Horst auch die
Hälfte davon ab! Bei unserer Weiterfahrt fahren wir immer wieder durch unendlich erscheinende Waldbrandgebiete, eine Schneise der
Verwüstung. 50 km vor Whitehorse machen wir dann noch einmal eine kleine Rast am wunderschönen Fox-Lake, dessen Wasseroberfläche in
der herrlichen Mittagssonne glitzert. Kurz darauf gibt es Alarm im Cockpit: Der Tank ist leer! Bis zum Abzweig zu den Takkihini-Hot-Springs
schaffen wir es noch. Dort fließen dann 117 l Benzin in den Tank, was eine Superrechnung ergibt (aber man gönnt sich ja sonst nichts). Bei
strahlend blauem Himmel mit nur vereinzelten Wolken erreichen wir dann wenige Zeit später Whitehorse, wo wir den Parkplatz des
Supermarktes ansteuern. Die vielen Menschen und Autos erschlagen uns förmlich, und so suchen wir nach unserem Einkauf schleunigst das
Weite. Bei diesem wunderschönen Wetter wollen wir heute noch einmal nach Skagway fahren, um die herrliche Strecke dorthin so richtig zu
genießen. Bei unserer ersten Fahrt haben wir von der Landschaft ja so gut wie nichts gesehen. Heute ist es hier wirklich traumhaft schön. Die
Berge, Seen und Wälder sehen total verändert aus, kein Vergleich mit unserer ersten Fahrt. Kaum sind wir jedoch auf dem White-Pass, läßt
sich eine dicke Regenwolke förmlich vor uns auf die Straße plumpsen und versperrt uns die Sicht nach allen Seiten. Natürlich regnet es auch.
Hinter dem Paß führt die Straße den Berg hinab, und schon sind Regen und Wolke wieder verschwunden, und die Sonne lacht uns entgegen. In
Skagway ist heute absolut überhaupt nichts los. Wir finden ein einziges Geschäft, das noch offen hat. Eigentlich wollten wir heute hier noch
einmal übernachten, um dann morgen mit der Fähre nach Juneau zu fahren, um dort ein paar Tage zu bleiben. Denn schließlich möchten wir die
Hauptstadt Alaskas, die man nur auf dem Luft- oder Wasserweg, nicht aber über irgendeine Straßenverbindung erreichen kann, doch auch noch
sehen, zumal das Wetter in den nächsten Tagen so schön wie heute bleiben soll. Auf den Straßen sieht man weder Menschen noch Autos. Das
alles führt dazu, daß wir blitzschnell unseren ursprünglichen Plan verwerfen und uns zum Abstecher nach Atlin entschließen. Das heißt dann
allerdings auch, daß wir die ganze Strecke wieder zurück müssen. Heute Abend wollen wir noch bis zum Tagish-Lake.
Gegen 20 Uhr erreichen
wir den Abzweig dorthin. An der Straße steht ein großes Holzschild mit der Bemerkung, daß der Campground und das Ressort "Open" sind (na
bitte, das gibt es auch noch). Wir biegen also von einer Gravelroad auf die andere ab. Die ist allerdings so rumpelig, daß wir befürchten, daß
uns auf der 13 km langen Strecke bis zum See die Schränke unseres Campers bei dieser Schaukelei um die Ohren fliegen. Mit anderen
Worten: eine absolute Horrorstrecke 13 km durch den dunkelsten Wald. Als wir nach einer uns unendlich erscheinenden Hoppelfahrt dann
endlich unser Ziel erreichen, trifft uns fast der Schlag: Die Blockhütten, in denen wir eigentlich für zwei Tage übernachten wollten, sind alle
ausgebucht! Da bleibt uns dann nur noch eine Übernachtung auf dem Campground (das Duschhaus ist allerdings wegen Ende der Saison auch
schon versperrt! - kein weiterer Kommentar!). Der Campground ist eigentlich ein Witz. Es handelt sich eher um einen etwas begradigten
Kiesplatz. Wir finden es unverschämt, dafür auch noch 10 Dollar Platzgebühr zu nehmen. Da wir die fürchterliche Strecke aber heute Abend
nicht mehr zurückfahren wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als eine Nacht hier zu bleiben. Zu unserem Standplatz unter Bäumen nur wenige
Meter vom See entfernt begleitet uns der schwarze Hund der Schweizer Ressortbesitzer. Schwanzwedelnd läßt er sich vor dem Camper nieder
und bleibt dort liegen. Für diese Nacht scheinen wir also wenigstens einen Wachhund zu haben. Dann kann ja eigentlich nichts mehr passieren,
zumal der Vollmond am sternklaren Himmel sich geheimnisvoll im See spiegelt.
Samstag, 25.09.1999
Heute Nacht war draußen absolut kein Laut zu hören. Es war richtig unheimlich. Als wir unsere übliche etwas umständliche Morgentoilette
beendet haben und durch die Tür nach draußen sehen, liegt unser Wachhund noch genau auf der gleichen Stelle wie gestern abend.
Schwanzwedelnd begrüßt er uns und bekommt natürlich als Belohnung etwas von unserem Frühstück ab. Bei unserem Erkundungsgang
begleitet er uns wie ein schwarzer Schatten. Dann packen wir unsere Siebensachen und gehen wieder auf große Fahrt. Heute wollen wir bis
Atlin am gleichnamigen See fahren. Wenn es uns dort gefällt, werden wir dort zwei Tage bleiben. Von den 98 km bis dorthin sind lediglich 40 km
geteert, der Rest ist wie üblich eine Schotterpiste, aber das kennen wir ja schon. Die Fahrt nach Atlin führt durch eine wunderschöne Gegend,
die immer wieder zu einem kurzen Halt einlädt. Atlin selbst wird die "Schweiz Kanadas" genannt. Als wir dort ankommen, wissen wir, warum.
Eine Ähnlichkeit ist wirklich vorhanden, nur viel schöner. Es ist ein kleines Örtchen am Atlin-Lake, in dem sich viele Künstler niedergelassen
haben. In irgendeiner Info-Broschüre habe ich gelesen, daß viele Leute sagen, Atlin hätte etwas Magisches an sich, das einen nicht mehr
losläßt. Genauso ergeht es uns bei unserer Ankunft. Wir verlieben uns auf der Stelle in dieses heimelige Örtchen mit dem phantastischen Blick
auf die jetzt von der Sonne beschienenen schneebedeckten Berge rings um den See. Es herrscht hier eine himmlische Ruhe. Unsere
Begeisterung erhält dann allerdings einen Dämpfer, denn einen Campground haben wir bisher noch nicht gesehen. Dann gibt uns jemand einen
Tip. Wir sollten doch die Bed&Breakfast-Unterkunft "Wins Place" mieten. Da hätten wir ein romantisches neu renoviertes Häuschen ganz für uns
alleine! Wir machen uns auf den Weg, um uns das Haus schon mal von außen anzusehen. Wir sind schon beim ersten Blick auf das blau und
weiß gestrichene Holzhaus Feuer und Flamme und erreichen nach einigen Mühen die Besitzerin. Sie heißt Donna und ist die Krankenschwester
des Roten Kreuzes von Atlin. Im gesamten Bereich von British-Columbia gibt es nur sechs Rot-Kreuz-Stationen, von denen eine hier in Atlin
eingerichtet wurde. Wir verabreden uns mit Donna, die uns kurze Zeit später das in unmittelbarer Nähe des Sees liegende Häuschen von innen
zeigt, was uns nun restlos begeistert. Das Holzhaus stammt ursprünglich aus der Goldrauschzeit Anfang des Jahrhunderts und ist nach der
Renovierung erst in diesem Jahr vermietet worden. Vorher gehörte es einer Tante von Donna, die es zusammen mit ihrer Schwester geerbt hat.
Innen ist es urgemütlich und mit alten viktorianischen Möbeln und Holzböden ausgestattet. Das Schönste ist jedoch die gemütliche Couch im
Wohnzimmer, von der man durch die raumhohen Erkerfenster einen traumhaften Blick auf See, Berge und Gletscher hat. Das ist die Krönung
des Ganzen, und so greifen wir voller Begeisterung zu und mieten dieses Paradies gleich für zwei Tage. Das ganze Haus ist ein Traum. Das an
das Wohnzimmer angrenzende Schlafzimmer hat auch einen kleinen Erker und einen eigenen Zugang zur Terrasse mit Seeblick. Ich nehme
sofort die große Küche in Beschlag und räume die Lebensmittel vom Camper um. Dann machen wir es uns auf der Couch bequem und sehen
den direkt vor unserem Fenster startenden und landenden Wasserflugzeugen zu. Am liebsten würden wir uns ja nach draußen auf die Terrasse
setzen, aber dazu ist es leider zu kalt.
|
|